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„Zinscrash“ im Euroraum?

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier

Der Inflationsdruck lässt nach und weitere Leitzinssenkungen sind zu erwarten.

Am 12. Dezember beschloss der EZB-Rat eine weitere Senkung aller drei Leitzinsen um 25 Basispunkte, also die vierte Leitzinssenkung im laufenden Jahr. Der wichtige Zinssatz für die Einlagefazilität, über den die EZB den geldpolitischen Kurs steuert, verringert sich nun auf 3,00 % und der Hauptrefinanzierungssatz sowie der Spitzenrefinanzierungssatz auf je 3,15 bzw. 3,40 %.

Doch diese Leitzinssenkung war bereits im Vorfeld eingepreist, denn der 3-Monats-Euribor lag bereits am 11. Dezember bei 2,888 %, um dann bis zum 13. September weiter auf 2,843 % abzusinken - womit bereits die nächste Zinssenkung zum Teil eingepreist ist. Eine noch deutlichere Sprache spricht die Terminmarktkurve vom 2. Dezember: Bis zum 6. Oktober 2025 sollte der 3-Monats-Euribor auf 1,62 % sinken. Damit wären bis zu sechs weitere Leitzinssenkungen um je 25 Basispunkte eingepreist - und bis zum April 2025 wären es bereits vier.

Konjunkturelle Alarmsignale

Das hat triftige Gründe, denn: Der Disinflationierungsprozess im Euroraum ist laut EZB-Chefin Christine Lagarde auf einem guten Weg. Gegenüber der September-Prognose haben die Volkswirte der EZB ihre Inflationserwartungen für 2024 und 2025 jeweils um 0,1 %-Punkte auf 2,4 bzw. 2,1 % nach unten revidiert. Für 2026 werden weiterhin 1,9 % erwartet. Neu ist die Prognose für 2027 mit 2,1 %, da in diesem Jahr das erweiterte EU-Emissionshandelssystem in Kraft tritt.

Bezüglich der Kerninflation (ohne Energie und Nahrungsmittel) erwartet die EZB für 2024 einen Durchschnitt von 2,9 %, einen Rückgang auf 2,3 % im Jahr 2025, sowie eine weitere Mäßigung auf 1,9 % in den Jahren 2026 und 2027. Die Disinflation wird unterstützt von einer Rezession des Industriesektors im Euroraum und einem nachlassenden Aktivitätsniveau im Service-Sektor - ein Umfeld, das auch die Pricing-Power der Unternehmen begrenzt, zumal sich das BIP-Wachstum im Euroraum im zweiten und dritten Quartal mit je 0,5 bzw. 0,9 % (gegenüber den Vorjahresquartalen) in engen Grenzen hält.

Zuletzt verlor dabei die leichte Belebung des dritten Quartals wieder an Dynamik. So ist es nicht verwunderlich, dass die Volkswirte der EZB ihre Wachstumsprognosen für den Euroraum gegenüber ihrer September-Prognose für heuer von 0,8 auf 0,7 % nach unten revidierten. Anstatt 1,3 % für 2025 und 1,5 % für 2026 erwartet die EZB nur noch 1,1 bzw. 1,4 % - und für 2027 sind es 1,3 %. Allerdings kann sich die Abwärtsdynamik mit einem Handelskonflikt USA versus EU noch verschärfen.

Die zeitnah eingepreisten Zinssenkungen sind unter diesen Aspekten kein Grund zur Freude, sondern eher ein konjunkturelles Alarmsignal, das auch die den Stimmungs- und Wachstumsdaten hinterherhinkenden Arbeitsmarktdaten in einem anderen Licht erscheinen lassen: Zwar verharrte im Oktober die Arbeitslosenquote im Euroraum mit 6,3 % noch auf Rekordtief. Doch die offenen Stellen entwickeln sich bereits rückläufig und mit dem Abschwung wird die Arbeitslosigkeit zunehmen, was dem Lohninflationsdruck etwas Wind aus den Segeln nehmen könnte. Dazu auch ein Auszug aus dem geldpolitischen Statement der EZB zur Pressekonferenz am 12. Dezember: „Der Anstieg des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer verlangsamte sich im dritten Quartal auf 4,4 gegenüber 4,7 % im zweiten Quartal. Bei einer stabilen Produktivität trug dies zu einem langsameren Wachstum der Lohnstückkosten bei. Die Mitarbeiter gehen davon aus, dass die Arbeitskosten über den Projektionszeitraum hinweg langsamer steigen werden, da die Löhne weniger stark und die Produktivität stärker zunehmen wird.“ Zwar fallen in nächster Zeit die zuvor stark gesunkenen Energiepreise weiter aus den jährlichen Raten heraus, was zu einer Seitwärtsbewegung bei den Inflationsraten führen sollte. Doch danach sollte sich die Inflation um das mittelfristige Ziel der EZB von 2 % einpendeln.

Das neutrale Zinsniveau

Während der Pressekonferenz war auch die Debatte um den „neutralen Zinssatz“ ein wichtiges Thema. Noch gilt das Leitzinsniveau eindeutig als restriktiv, zumal das Inflationsziel der EZB von 2 % nachhaltig erreicht werden muss. Gleichzeitig erwarten Experten, dass die EZB bis zur Erreichung eines neutralen Zinsniveaus weitere Leitzinssenkungen vornehmen muss. Das sogenannte „neutrale Zinsniveau“ ist jenes Niveau, das das Wachstum weder bremst noch fördert. Zur aktuellen Debatte über den neutralen Zins äußerte sich Lagarde auf eine Journalistenfrage: „Wissen Sie, ich denke, die Frage des neutralen Satzes ist eine, über die wir wahrscheinlich mehr und mehr debattieren werden, je näher wir dem endgültigen Wert kommen, und wir werden wahrscheinlich die verschiedenen Instrumente und Methoden anwenden, die von den Mitarbeitern in der Arbeit vorgeschlagen wurden, die vor etwa einem Jahr veröffentlicht wurde. Ich denke, die gängige Meinung am Tisch ist, dass sie aus verschiedenen Gründen wahrscheinlich etwas höher ist als vorher, und das werden wir zu gegebener Zeit diskutieren. Wenn ich mich recht erinnere, lagen die Zahlen, die von den Mitarbeitern in diesem Bericht genannt wurden, zwischen 1,75 und 2,5 %, und Sie wissen, dass dies die Spanne ist, die sich aus den Berechnungen und den von den Mitarbeitern vorgeschlagenen Methoden ergibt. Ich bin sicher, dass wir darüber debattieren werden, wenn es soweit ist.“

Fazit

Bei den Leitzinsen des Euroraums ist derzeit noch genügend Luft nach unten. 2025 dürfte ein gutes Jahr für die Kreditnehmer werden, aber wieder ein schlechtes Jahr für die klassischen Sparer.

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