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Steigt die Inflation oder sinkt sie?

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier 

Zyklische Preisdämpfer versus strukturelle Teuerungsfaktoren.

Nicht umsonst beruft sich der EZB-Rat bei den jüngsten Leitzinsentscheidungen auf einen datenorientierten Ansatz. Einerseits wirkt eine schwächere Konjunktur im Euroraum über niedrigere Erzeugerpreise und eine sinkende Teuerung für Industriegüter ohne Energie disinflationär. Auf der anderen Seite bleibt die Lohninflation ein Teuerungsfaktor, vor allem aufgrund einer Pensionierungswelle infolge demographischer Alterung. Hinzukommen noch zunehmende geopolitische Risiken aus dem Nahen Osten, die jederzeit auch den Ölpreis nach oben treiben können. Ebenso hängt mit zunehmender Eskalation des Ukrainekriegs eine mögliche Einstellung russischer Gaslieferungen nach Europa wie ein Damoklesschwert über der Preisfront.

In den USA hingegen, die gut mit Erdöl und Erdgas versorgt sind, hat sich die Situation am Arbeitsmarkt eher stabilisiert. Zwar ist die Arbeitslosenquote von Jänner bis Juli 2024 von 3,7 auf 4,3 % gestiegen, der Anstieg der Stundenlöhne hat sich auf Jahresbasis von Juni auf Juli 2024 aber von 3,9 auf 3,6 % gemäßigt. Die von der Fed genau verfolgte Kerninflation persönlicher Konsumausgaben (Core- PCE-Inflation) verharrte im vergangenen Juni auf 2,6 % verglichen mit der allgemeinen Headline-Inflation von 3,0 %.

Lohninflation im Euroraum

Gleichzeitig blieb im Euroraum die von der EZB beobachtete Kerninflation, sprich die Veränderung des HVPI ohne Energie, Lebensmittel, Alkohol und Tabak, im Juli bereits den dritten Monat in Folge auf 2,9 %. Im Vergleich dazu lag die Headline-Inflation bei 2,6 % (verglichen mit 2,5 % im Juni). Sowohl die Preiskomponente „Lebensmittel, Alkohol und Tabak“ als auch die Energiepreiskomponente stiegen im Juli gegenüber dem Vorjahresmonat weniger stark als die Headline-Inflation; sprich: die Veränderung des gesamten HVPI. 

Da die Kerninflation auch stärker von der Lohnkostenteuerung abhängig ist, lag die genannte Kerninflationsrate im Juli 0,3 %-Punkte über der Headline-Inflation. Beispielsweise hat sich vom vierten Quartal 2023 auf das erste Quartal 2024 der Anstieg der nominalen Arbeitskosten pro Stunde von 3,4 auf 5,1 % beschleunigt. Hinzu kommen zuletzt teils hohe Tarifabschlüsse, insbesondere in Deutschland und Österreich. 

Sollte die Konjunktur in den USA weiterhin robust bleiben und infolge staatlicher Interventionen auch Chinas Wirtschaft wieder an Dynamik gewinnen, könnte über eine stärkere Exportwirtschaft auch Europas Wirtschaft wieder etwas Aufwind bekommen, was dann eine Lohn-Preis-Spirale lostreten könnte. Allerdings sieht es vor allem wegen der Schwäche im Industriesektor derzeit anders aus.

Disinflationäre Konjunkturschwäche

Ein Blick auf einen wichtigen Aktivitätsindikator der Industrie des Euroraums zeigt, dass dieser im Juli den stärksten Produktionsrückgang seit Jahresbeginn verzeichnete. Die Gemengelage bestehend aus beschleunigten Rückgängen bei Auftragseingängen, Produktion und Beschäftigung, einem erneuten Lagerabbau und den schlechtesten Geschäftsaussichten seit vier Monaten wirkt disinflationär, denn die Preisfestsetzungsmacht der Unternehmen ist beeinträchtigt. Sie konnten per Saldo ihre jüngsten Kostenanstiege nicht an ihre Kunden weitergeben - so die Auswertung der Daten des von S&P Global am 1. August veröffentlichten „HCOB Einkaufsmanagerindex Industrie Eurozone“. 

In dieses Bild passt auch, dass der Preisanstieg für Industriegüter ohne Energie von Juli 2023 auf Juli 2024 von 5,0 % auf 0,8 % rückläufig war - ebenso wie ein marginaler Anstieg der Arbeitslosenquote im Euroraum. Das BIP-Wachstum des Euroraums lag im zweiten Quartal 2024 lediglich bei 0,6 % (nach 0,5 % im ersten Quartal). So lange die Wirtschaftsaktivitäten hier „auf Sparflamme“ bleiben, halten sich von dieser Seite her die Inflationsrisiken in Grenzen.

Externe Faktoren bestimmen die Entwicklung

Vielmehr sind es externe Faktoren jenseits der Ökonomie, die Sorge bereiten. Einerseits eskaliert die geopolitische Situation aktuell zusehends, sodass es jederzeit zu Lieferkettenunterbrechungen beziehungsweise Erdöl- oder Erdgas-Lieferboykotts kommen kann. Auf der anderen Seite bleiben die Auswirkungen des Klimawandels ein permanenter Risikofaktor weltweit. Ernteausfälle können jederzeit zu einer Lebensmittel-Teuerung führen.

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