Die Börse Wien war im Jahr 2020 im unteren Teil der internationalen Performanceliste zu finden und taucht im Jahr 2021 nunmehr wieder im oberen Teil auf. Dieser Effekt von „besonders gut“ und „besonders schlecht“ ist nicht neu und bei zyklischen kleineren Märkten auch nicht untypisch. Was ist die Ursache für die Neueinschätzung der österreichischen Unternehmen? Es ist immer wichtig, die Gründe von Entwicklungen zu erkennen. Es gibt keine Neueinschätzung des Landes. In einer globalisierten Welt gibt es kaum mehr Investoren, die in Form eines Top-Down-Ansatzes eine Ländergewichtung festlegen, schon gar nicht innerhalb des EURO-Raumes. Vielmehr geht es um Sektoren und um Branchen. Viele Entwicklungen sind sehr stark abhängig von den internationalen Kapitalströmen, Wien ist besonders abhängig.
Der mächtigste internationale Trend der vergangenen Jahre war die Unterteilung in Growth und Value. Das Growth-Segment zeigte getragen von den Digitalisierungs-Champions aus den USA eine massive Outperformance. Das Value-Segment, geprägt von den Branchen Industrie, Energie oder Finanzen, hinkte deutlich hinterher. Im November 2020 hat beginnend mit den Impffortschritten und damit verbunden steigenden Konjunktur- und auch steigenden Inflationserwartungen der Wind gedreht. Das Value-Segment – und eben auch die Wiener Börse – starteten eine Aufholjagd. Die Korrelation zwischen dem „Weltaktienindex Value“ und dem ATX-Index ist sehr hoch, das wird auch so bleiben und ist rein in der Branchengewichtung begründet.
Der Rückenwind für Wien sollte auch im weiteren Jahresverlauf anhalten. Aus einer Top-Down-Perspektive durch die Tatsache, dass viele internationale Investoren in Value-Strategien immer noch untergewichtet sind und weitere Kapitalströme fließen sollten. Aus der Bottom-Up-Perspektive durch die Tatsache, dass die Gewinnqualität der heimischen Unternehmen in der überwiegenden Mehrheit bemerkenswert gut ist. Dies ist der Kernpunkt, den viele überskeptische Anleger aktuell übersehen. Gerade in Österreich verzerrt der oft übertriebene mediale Blick auf Gastronomie oder Tourismus. Tatsache ist, dass das Wachstum der Weltwirtschaft für 2021 zuletzt auf beachtliche 6 % nach oben revidiert wurde. Für die klare Mehrzahl der in Wien notierten Unternehmen ist dieser globale Blick wesentlich wichtiger als ein rein nationale Konjunkturzahl.
Bleibt final der Blick auf die Zinsseite. Die Renditen der 10-jährigen Staatsanleihen Österreich haben sich im bisherigen Jahresverlauf leicht erhöht und pendeln nunmehr um die Null-Linie. Selbst wenn sich dieser Trend noch ein wenig fortsetzen würde, sehen wir auf Jahre hinaus kein Szenario, in dem der festverzinste Bereich zu einer nennenswerten Konkurrenz für die Aktienveranlagung werden könnte. Die Zinswende wird wie so oft nicht stattfinden. Damit ergibt sich eine im Vergleich zu Anleihen sehr attraktive Aktienrisikoprämie, die wohl wesentlichste Bewertungskennzahl. Zudem liegt die Dividendenrendite der Wiener Aktien bei im Schnitt über 3 %.
In der Portfoliokonstruktion besteht die Defensive aus den Dividendenstorys wie Telekom Austria, VIG, Mayr-Melnhof oder Post. Das Mittelfeld besteht aus strategisch ausgezeichnet arbeitenden Unternehmen wie Erste, Wienerberger, Lenzing oder Palfinger. Und im Angriff bauen wir voll auf AT&S. Dieser noch unterschätzte regionale Star wird in einigen wenigen Jahren in einer internationalen Top-Liga spielen.
Autor:
Alois Wögerbauer, CIIA
Geschäftsführer der 3 Banken-Generali Investment-Gesellschaft m.b.H.
30. Juni 2021
Hinweis
Die Wiener Börse AG verweist ausdrücklich darauf, dass die angeführten Informationen, Berechnungen und Charts auf Werten aus der Vergangenheit beruhen, aus denen keine Schlüsse auf die zukünftige Entwicklung oder Wertbeständigkeit gezogen werden können. Im Wertpapiergeschäft sind Kursschwankungen und Kapitalverluste möglich. Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Analysten wieder und stellt keine Finanzanalyse oder Anlageempfehlung der Wiener Börse AG dar.