Laut erster Schätzung ist das österreichische BIP im Vorjahr nicht ganz so stark eingebrochen wie befürchtet. Die -6,6% sind enorm, spielten sich – wie auch die gegenwärtigen negativen Wachstumsbeiträge – aber in Sektoren ab, die für den Wiener Aktienmarkt nur indirekt von Belang sind. Erfreulich ist hingegen die Erholung der Industriekonjunktur, die schon seit dem vierten Quartal 2020 positive Wachstumsbeiträge der Warenexporte zur Folge hatte und in einem Drei-Jahres-Hoch des IHS/Markit-BankAustria-Einkaufsmanagerindex im Februar gipfelte. Der ATX gewann folgerichtig in den ersten zwei Monaten des Jahres hinzu und machte einen Teil seines Rückstands aus dem Vorjahr wieder wett. Dabei kommt ihm seine Branchenstruktur mit hohen Gewichten von Energie, Industrie-, Finanz- und Immobilientiteln zu Gute, die mit wenigen Ausnahmen kaum auf den zyklischen Konsum reagieren, der derzeit auf den BIP-Zahlen und der Leistungsbilanz lastet. Die Bewertung ist im internationalen Vergleich noch immer unterdurchschnittlich und trotz leichter Gegenbewegungen der Langfristrenditen und Inflationsdiskussionen zeichnet sich kein Paradigmenwechsel der lockeren Geldpolitik ab. Und mit Fortschritten der Pandemiebekämpfung sollten sich auch die Sektoren Verkehr, Tourismus und Einzelhandel wieder erholen.
All das klingt, als könne generell mit hohen Aktienquoten wenig falsch gemacht werden. Diese sind bei den institutionellen Anlegern allerdings bereits vorhanden. Günstige Multiples resultieren mehr aus der erwarteten Gewinnentwicklung als aus der Gegenwart. Für die Aktienauswahl stellen sich mehr und mehr Grundsatzfragen: Wo haben die Lockdowns nur kurzfristige Unterbrechungen gebracht, wo verbergen sich hinter den momentanen Stillständen strukturelle Verschiebungen? Wie verändert sich die Dienstleistungsgesellschaft in einer längeren Phase ohne Freizeitwirtschaft, Reisen und diverse persönliche Dienstleistungen? Hinterlässt die Zwangspause Qualifikationsdefizite, sodass sich Branchen nicht einfach auf Knopfdruck wieder hochfahren lassen? Wo gibt es – siehe Halbleiter und Chips – andere angebotsseitige Beschränkungen, die durch die Nachfragedefizite verdeckt wurden? Was fragen Konsumenten dauerhaft nach, wie arbeiten sie? Wo wird mehr, wo wird weniger Fläche gebraucht werden? Solche Wendepunkte bringen Anlegern enorme Chancen und Risiken. Diversifikation und professionelle Titelauswahl (und leider auch noch das Virus und seine Mutationen) entscheiden, welche davon überwiegen.
Autorin:
Dipl.-Vw. Uta Pock
Leiterin Research
VOLKSBANK WIEN AG
8. März 2021
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