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Marktanalyse: Liquidität versus Realität

Alois Wögerbauer

Die Börsengeschichte ist voll mit Zitaten und Ratschlägen. Müsste ich mich im Rückblick auf das ersten Halbjahr 2020 für einen Ratgeber entscheiden, so wäre meine Wahl: "Don't fight the FED". Stelle Dich niemals gegen die Macht der Notenbanken. 2020 ist bisher in jeder Hinsicht historisch. Anfang Jänner lagen die Schätzungen für das Wachstum der Weltwirtschaft bei knapp 3 %. Anfang Juli geht der IWF von einer Rezession der Weltwirtschaft von nahe 5 % aus. Corona hat alles verändert und keinen Bereich des Lebens unbeeinflusst gelassen – privat, öffentlich, wirtschaftlich. Dennoch dürfen wir nicht vergessen: Corona ist ein externer Schock, aber wir haben keine Systemkrise.

In jeder Hinsicht historisch sind aber auch die Aktionen der Notenbanken und der Politik. Was wir in den Nachwehen der Lehman-Pleite und der EURO-Krise als hoch bewertet hatten, erscheint im Vergleich mit den heutigen Aktionen gerade lächerlich klein. Die Notenbanken und die Politik sind zudem auch enger zusammengerückt. Dies ist nicht unbedingt im Sinne der Unabhängigkeit der Notenbanken. Es ist aber ein Vorgeschmack auf die Geld- und Fiskal-Politik des gerade beginnenden Jahrzehnts. Es ist mehr eine Schicksalsgemeinschaft, denn unabhängiges agieren.

Die Anleger stehen somit vor einem Dilemma. Was gewichte ich höher? Die harten und sehr negativen Fakten aus der Realwirtschaft. Oder die historisch hohen Pakete der Staaten und der Notenbanken. Meine 30-jährige Berufserfahrung generell und die Lehren der vergangenen Jahre speziell sagen mir, dass man im Zweifel die Liquidität höher gewichten sollte. „Wir sind investiert, wenn auch nicht auf Anschlag“. Dies war daher unser Rat in den vergangenen Wochen und Monaten.

Substanziell neue Erkenntnisse für die Geldanlage gab es durch die Corona-Monate nur wenige. Die Verletzbarkeit einzelner Industrien wurde uns vor Augen geführt. Am Beispiel der Luftfahrtindustrie wurde klar, dass sich auch Prognosen, die man als über Jahrzehnte abgesichert einstufte, in Luft auflösen können.

Die Zinswende ist de facto ausgeschlossen, weil den Notenbanken der Weg der Normalisierung weitgehend versperrt ist. Mehr denn je. Die Zinsen müssen tief bleiben, weil aus Sicht der Staaten eben nicht die Höhe der Schulden, sondern die Höhe des jährlichen Zinsendienstes zählt. Megatrends wie Digitalisierung, Gesundheit, Nachhaltigkeit haben Bestand. Sachwerte sind im Umfeld tiefer Zinsen und hoher Schulden grundsätzlich interessant. Und Gold als Depotbeimischung macht Sinn. Aber all das wussten wir im Wesentlichen auch schon vorher.

In den Hitlisten, welches Land die Corona-Krise am bestens bewältigt hat, steht Österreich im internationalen Vergleich auf den ganz oberen Plätzen. Im Ranking der Börsenplätze liegt die Wiener Markt am Ende der Listen. Dies liegt nicht „an Österreich“. Es liegt daran, dass am Heimmarkt vor allem Unternehmen notiert sind, die aktuell konjunkturellen Gegenwind haben: Banken, Industrie, Energie, Immobilien. Mega-Trends wir Digitalisierung oder Gesundheit fehlen weitgehend. Der Aufholprozess in Wien wird erst dann eintreten, wenn der globale Konjunkturhimmel sich wieder erhellt. Für die kommenden Monate ist dies eher unwahrscheinlich. Ein Grundoptimismus mit Blick Richtung 2021 erscheint aber angebracht.


Autor:
Alois Wögerbauer, CIIA
Geschäftsführer der 3 Banken-Generali Investment-Gesellschaft m.b.H.
2. Juli 2020

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