Die heimische Wirtschaft hat wahrlich keinen einfachen Stand. Unser wichtiger Handelspartner Deutschland wird oftmals als „kranker Mann“ Europas bezeichnet. Vor allem die Automobilindustrie kämpft mit strukturellen Schwierigkeiten: Konkurrenz aus China, überbordende Regularien, Managementfehler. Die Liste an Problemen ist lange. Dazu kommt noch die Politik, welche im besten Fall hilflos ist und in vielen Bereichen die Probleme weiter anfacht (Stichwort Inflation). Der Blick über den großen Teich macht hier auch wenig Freude, denn „America First“ wird oftmals als „Europe last“ interpretiert. Man könnte also meinen, an den Börsen gibt es aktuell nur eine Richtung: gen Süden.
Das wäre allerdings eine Fehlkalkulation, die eines Industriemanagers würdig wäre (ohne hier Namen zu nennen). Die internationalen Börsen eilen von Allzeithoch zu Allzeithoch. Auch der DAX, als Index des „kranken Mannes“ sozusagen das Epizentrum der Probleme, konnte deutlich zweistellige Zuwachsraten verzeichnen. Und sogar der heimische Index, der mit seinem starken Fokus auf zyklische Unternehmen nochmal einen schwierigeren Stand haben sollte, konnte das Jahr bisher mit ein paar blauen Augen (in Form einiger Nebenwerte, die unter die Räder kamen) überstehen. Am heimischen Markt zeigte sich jedoch eine besonders deutliche Zweiteilung in Gewinner und Verlierer. Zu ersteren zählten unter anderem die Banken, die nicht nur von weiterhin niedrigen Risikokosten profitierten. Vor allem in Osteuropa zeigte auch die Kreditnachfrage erste zarte Erholungstendenzen.
Deutlich schlechter lief es hingegen für „klassische“ Zykliker wie voestalpine, Wienerberger oder Mayr-Melnhof. Preisdruck bei gleichzeitig sinkendem Verkaufsvolumen ist ein toxischer Cocktail für niedrigere Gewinne. Einen Vorteil haben diese beiden Unternehmen jedoch im Vergleich zu einigen kleineren Mitbewerbern: starke Bilanzen. In den „fetten Jahren“ wurde hier vorgesorgt, sodass die Unternehmen einen Polster haben um die aktuell schwierigen Marktbedingungen durchtauchen zu können. Das ist kurzfristig für die Investoren natürlich ein geringer Trost. Mit Blick in die Zukunft sollte es jedoch Hoffnung geben. Denn irgendwann wird sich das Umfeld wieder verbessern. Sei es durch eine Lösung des Ukrainekonflikts (vielleicht doch ein positiver Trump-Effekt für Europa? Hoffen wird man ja noch dürfen...), eine Lockerung der politischen Daumenschrauben oder ein weiterer Rückgang der Zinsen in Europa. Wenn die grauen Nebelschwaden des Pessimismus abziehen, kommen die positiven Argumente für den heimischen Markt wieder zu Vorschein: eine günstige Bewertung, großteils solide Unternehmensbilanzen und Technologieführerschaft in attraktiven Nischenmärkten. Denn auch nach dem kältesten, grauslichsten Winter kommt irgendwann der Frühling...
Autor:
Mag. Bernhard Haas, CFA, Erste Asset Management GmbH
Fondsmanager
3. Dezember 2024
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