Marius Perger | Börsen-Kurier
Christoph Boschan im Exklusivinterview über fünf erfolgreiche Jahre und die Zukunft der Wiener Börse.
Seit etwas mehr als fünf Jahren ist Christoph Boschan Vorstandsvorsitzender der Wiener Börse. Bereits im November 2020 wurde die Funktionsperiode des 43-jährigen gebürtigen Berliners, der davor unter anderem Vorstand der Börse Stuttgart und der Euwax war, vorzeitig um fünf Jahre verlängert.
Im Exklusivinterview mit dem Börsen-Kurier sprach Boschan darüber, wie die Wiener Börse auf die Herausforderungen der vergangenen Jahre reagiert hat und wie es mit dem Kapitalmarkt in Österreich weitergehen kann.
Herausforderungen gemeistert
Zu den größten Herausforderungen für eine traditionelle Börse zählte in den letzten Jahren das Erstarken außerbörslicher Handelsplattformen. Boschan betont, dass es gelungen sei, den börslich regulierten Handelsanteil bei 75 bis 85 % „außerordentlich stabil“ zu halten. Gleichwohl habe sich aber die Ausprägung des Handels verändert, vom fortlaufenden Handel hin zur Auktion, die volumenausgleichend sei und ein konkurrenzloses Angebot der Börsen darstelle.
Auf der technischen Seite zählte die 2017 erfolgte Umstellung auf die Handelsarchitektur Xetra T7 zu den Highlights seiner ersten Amtsperiode. Mit Kooperationspartnern zusammenzuarbeiten sei eine „fundamentale Grundsatzentscheidung, die man immer aufs Neue treffen muss“. Für die Wiener Börse als relativ kleines Haus sei das ein „Überlebenselixier“, wenn es auf Skaleneffekte ankommt: „Unsere Aufgabe ist es, österreichischen Unternehmen den gleichen Standard zu bieten, den Emittenten auf anderen großen Märkten erhalten“, so Boschan.
Viel hat sich in den vergangenen Jahren getan an der Wiener Börse: Die technische Infrastruktur sei komplett modernisiert worden, es wurden neue Services auf den Markt gebracht und es wurde weiter internationalisiert. Alle diese Maßnahmen seien wichtig gewesen und würden ineinandergreifen.
Natürlich seien manche Vorhaben auch schiefgegangen. Strategieprozesse würden davon leben, dass sie mehrheitlich funktionieren - alles andere wäre eine „Start-up-Strategie“. Entscheidend sei, dass unterm Strich mehr herauskomme, schließlich sei auch die Wiener Börse ein Unternehmen. Das sei gut gelungen, es wurde in den letzten Jahren starkes Wachstum erzielt. Und auch für 2021 werde man ein Top-Ergebnis vorlegen können, kündigt der Börse-Chef an.
Investieren ist nicht spekulieren
Wichtig sei es, Wetten, Spekulation und Investments auseinanderzuhalten. Die Unterscheidung sei nicht immer einfach, und alle drei seien legitim. Es gehe nicht darum zu werten, sondern darum, den Unterschied zu verstehen. Gambling, wozu Boschan beispielsweise Bitcoin zählt, oder Spekulationen wie jene um Gamestop im vergangenen Jahr seien keineswegs mit Investments in den ATX zu vergleichen. Nur beim Investieren hat der Anleger ein langfristiges Konzept vor Augen.
Gerade die Corona-Pandemie habe dazu geführt, dass Erträge für Anleger wieder wichtiger geworden sind und fundamentale Fakten wieder mehr beachtet werden. Klassische Unternehmen, wie sie für Österreich typisch sind, bieten sich da besonders für Investments an.
Im Bereich der Privatanleger sieht Boschan zwei gegenläufige Trends: Einerseits gebe es eine Vielzahl junger Anleger, eine selbstbewusste junge Generation, die unternehmerisch denkt. Zwar seien diese Menschen noch nicht vermögensstark, entscheidend für den Kapitalmarkt sei aber, dass ihnen die Transition vom Spielerischen zum Investieren gelinge.
Es gebe aber auch einen zweiten, mindestens ebenso starken Trend: Die staatliche Umverteilung nehme zu, statt als mündige Bürger selbst Verantwortung zu übernehmen, würden sich viele auf den Sozialstaat verlassen. Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder Helikoptergeld würden zeigen, dass wir es zunehmend mit einem „Versorgungsstaat“ zu tun haben. Der Kapitalmarkt brauche aber individuelles Engagement.
Dazu komme, dass es in Österreich teilweise eine hohe Risikoneigung gibt - Beispiele dafür sind Crowdinvesting oder die Fremdwährungskredite. Je geringer die Finanzbildung, desto fehlerhafter sei die Risikoeinschätzung, umso spekulativer das Verhalten. Typischerweise beginne die „Anlegerreise“ zwar auf der Gambling- oder spekulativen Seite, wer als Investor die Reise aber nicht bis zum Ende macht, sei verloren.
Zu denken gibt Boschan die mangelnde Zukunftsorientierung in Österreich. Während international ein Trend hin zur Kapitaldeckung der Pensionssysteme bestehe, beharre man hierzulande auf dem Umlageverfahren: „Ich habe Sorge, dass Österreich diesen Trend verschläft“, so Christoph Boschan. Längerfristig stelle dies ein Risiko für den Wohlstand in Österreich dar. Dass Österreich am Kapitalmarkt unter seinen Möglichkeiten bleibe, schmerze ihn - insbesondere, weil der Kapitalmarkt auch ein Wohlstands- und Verteilungsmotor sein kann.
Weiteres Wachstum
„Unerfreulich wenig“ habe sich zuletzt in Bezug auf neue Börsengänge im „prime market“ getan; die Pipeline sei aber „einigermaßen voll“, so Boschan. Und er zeigt sich „zuversichtlich, heuer Bewegung zu sehen“. Es habe zuletzt zwar einige Kandidaten gegeben, diese seien aber im Bereich Private Equity versorgt worden. Gerade in der für österreichische Unternehmen typischen Größenordnung einer Marktkapitalisierung von 1 bis 2 Mrd. Euro sei Private Equity besonders aktiv. Negativ wirke sich auch aus, dass es am österreichischen Markt mehr Übernahmeziele gebe als Unternehmen, die selbst akquirieren. Positiv hervorzuheben sei aber beispielsweise, dass Pierer Mobility ab 1. März im „prime market“ notieren werde, sowie das Einstiegssegment, das regen Zulauf erfährt.
Und die Kapitalmärkte würden in Zukunft noch wichtiger werden: Innovation sei nötig, gigantische Investitionen in die Umwelt stehen an - all das sei nur mit Eigenkapital möglich: „Egal, um welches Megathema es geht - der Kapitalmarkt ist immer ein Teil der Antwort.“ Für die Wiener Börse selbst laute die Strategie für die nächsten Jahre: „Weiter wachsen, österreichische Emittenten in alle Welt tragen und die Welt nach Österreich bringen.“
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