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Geopolitische Risiken

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier 

Unterschätzte Gefahren für die Weltwirtschaft.

In den vergangenen Wochen haben sich die Beziehungen Deutschlands zu Russland auf das Niveau des tiefsten Kalten Krieges verschlechtert. Der Grund war ein von Russland abgehörtes Gespräch von deutschen Luftwaffen-Offizieren über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, das in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgte. Von russischer Seite her könnte eine Lieferung den Kriegseintritt Deutschlands bedeuten, zumal die BRD sich im „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ von 1990 verpflichtete, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Die Rhetorik des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius stehe dem diametral gegenüber, so der Vorwurf. Gleichzeitig schließt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Bodentruppen in der Ukraine nicht aus, womit aber aus russischer Sicht eine rote Linie überschritten würde. Und last but not least hält die NATO zur Abschreckung Russlands mit rund 90.000 Soldaten das größte Manöver seit 1989 ab. 

Auch wirtschaftliche Risikopotenziale

Während die EU 2023 nur noch 8 % ihres Erdgasbedarfs aus Russland deckte, fallen auf Russland 24 % der globalen Palladium-Exporte. Palladium wird für Autokatalysatoren benötigt und Deutschland ist der wichtigste Palladium-Importeur. Bei Düngemittel ist Russland mit einem Exportanteil von 13,3 % der weltgrößte Exporteur. Hauptabnehmer sind Brasilien, China, die USA und Estland. Darüber hinaus ist Russland mit 10,1 % Marktanteil der größte Exporteur von Aluminium. Hinzukommt, dass in Europa im Tourismus wohlhabende russische Kunden ausbleiben.
 
Eine aktuelle Untersuchung des IfW Kiel (Kiel Working Paper 2262 - „The Price of War“) wertete die Kosten von mehr als 150 Kriegen seit 1870 aus. Erkenntnisse: Alleine auf den unmittelbaren Kriegsschauplätzen sinkt das reale BIP fünf Jahre nach Kriegsbeginn durchschnittlich um 30 %, während die Inflation um bis zu 15 Prozentpunkte steigt. Somit erwarten die Autoren bis zum Jahr 2026 einen kumulativen BIP-Verlust in der Ukraine von etwa 120 MrdUSD (umgerechnet: 110,09 MrdE) und die Kosten für nicht direkt am Krieg beteiligte Drittländer belaufen sich auf 250 MrdUSD (umgerechnet 229,36 MrdE). Davon fallen ca. 28 % auf die EU.

Nahost-Konflikt blockiert Suez-Kanal

Rund 80 % der globalen Warentransporte erfolgen auf dem Seeweg, wobei derzeit der Suezkanal als Verbindungs-Nadelöhr geopolitisch bedingt nur schwer passierbar ist. Der Kanal verbindet als schnellste und günstigste Route zwischen Europa und Asien das Mittelmehr und das Rote Meer. Doch infolge der Raketen- und Drohnenangriffe der vom Iran unterstützten Huthi-Milizen aus dem Jemen (auf Seiten der Hamas gegen Israel) ging der Schiffsverkehr dort mehr als drastisch zurück. So haben Huthi-Rebellen den britischen Öltanker Pollux und das mit 41.000 Tonnen Düngemitteln beladene Handelsschiff „Rubymar“ im Feber mit Raketen beschossen. Letzteres ist bereits gesunken. 

Mittlerweile haben die Risiken auf der Suez-Route im Roten Meer bzw. im Golf von Aden zahlreiche Transportversicherer veranlasst, die Kriegs- sowie Streik und Aufruhr-Klausel in den Transportversicherungspolicen für Seeschiffs-Verladungen im betroffenen Seegebiet zu kündigen. Fuhren im vergangenen Jahr noch im Schnitt täglich weit mehr als 100 Containerschiffe durch das Rote Meer, so waren es zuletzt noch rund 40 (Quelle: IfW). Laut einer aktuellen Publikation der Schifffahrts- und Speditionsgesellschaft Navis ist gegenüber der ersten Dezemberhälfte 2023 das Verkehrsvolumen von LNG-Gastankern und Autotransportern zwischenzeitlich sogar vollständig zum Erliegen gekommen und jenes von Containerschiffen und Rohöltankern liegt bei je 91 bzw. 31 % unter dem Ausgangsniveau. 

Das hat Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, denn: Über die Suez-Kanal-Route werden ca. 15 % des internationalen Schiffhandels (Warenwert von umgerechnet über 917 MrdE), darunter 12 % des auf dem Seeweg gehandelten Öls und 8 % des weltweiten Getreidehandels, abgewickelt. Waren, die nicht mehr über den Suezkanal transportiert werden können, müssen das Kap der Guten Hoffnung (Südspitze Afrikas) passieren. Beispielsweise ist die Route von Singapur nach Rotterdam über den Suez-Kanal 8.500 Seemeilen lang und dauert 26 Tage. Der Umweg über das Kap der guten Hoffnung würde die Strecke auf 11.800 Seemeilen verlängern, wodurch sich die Lieferung um zehn Tage verzögert. Die Treibstoffkosten für das Schiff würden sich für die Hin- und Rückfahrt um knapp 1 MioE verteuern. 

Die Folge: Vereinzelt haben europäische Importeure bereits begonnen, wieder Lagerbestände aufzubauen. Kommt es weltweit bei den aktuell niedrigen Lagerbeständen zu verstärkten Aufstockungskäufen in der Industrie, würde das die Preise für Rohstoffe und Industriebedarf in die Höhe treiben. Hinzu kommen steigende Seefrachtraten. Laut der internationalen Frachtbuchungsplattform Freightos sind die Seefrachtpreise für den Containertransport von Asien nach Nordeuropa im Jänner 2024 bereits auf mehr als das Doppelte gestiegen. 

Risikofaktor Taiwan-Konflikt

Aber es gibt ein noch größeres geopolitisches Risiko: China rüstet auf und hält zunehmend mehr Militärmanöver vor Taiwan ab. Chinas Außenminister hat andere Staaten davor gewarnt, sich in den Streit mit Taiwan einzumischen. China betrachtet Taiwan als eigenes Staatsgebiet. Das Ziel der Führung in Peking liegt - laut diversen Publikationen - somit im Anschluss der demokratisch regierten Insel an das chinesische Staatsgebiet. Sollte es zur militärischen Besetzung Taiwans durch chinesische Truppen kommen, dann könnte China den Rest der Welt mit einem Halbleiter-Boykott in die Knie zwingen, denn rund zwei Drittel aller Chips weltweit werden in Taiwan hergestellt, wo auch Taiwan Semiconductor, der weltweit größte unabhängige Auftragsfertiger für Apple, produziert. 

China dominiert zudem den Weltmarkt Seltener Erden, die in der Halbleiterindustrie zum Einsatz kommen. Im Juli 2023 gingen bereits Nachrichten über Ausfuhrkontrollen für Gallium (95 % der Weltproduktion fallen auf China) und Germanium durch die Medien. Stellt China im Falle eines militärischen Eskalationsszenarios die Lieferungen Seltener Erden plus taiwanesischer Chips in den Westen ein, dann würden außerhalb Chinas nicht nur in der Elektronikindustrie die Bänder stillstehen, sondern in allen Bereichen, in denen es dann an Mikrochips mangelt.

 

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