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EZB-Senkung ist Reaktion auf Konjunkturschwäche

Michael Kordovsky | Börsen-Kurier

Weitere Vorgangsweise der Europäischen Zentralbank ist datenabhängig. Lohninflation bleibt Restrisiko.

Bereits am 6. Juni senkte die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals in diesem Zyklus ihren Leitzins. Vergangene Woche folgte ein weiterer Schritt: Sie schraubte den Zinssatz für die Einlagefazilität um 25 Basispunkte auf 3,50 % runter. Neben der Senkung des Einlagezinses hat die EZB auch den Abstand zwischen dem Hauptrefinanzierungszinssatz und dem Einlagezinssatz auf 15 Basispunkte festgelegt. Gleichzeitig bleibt der Abstand zum Spitzenrefinanzierungszinssatz bei 25 Basispunkten. Dies bedeutet, dass letztendlich der Hauptrefinanzierungssatz von 4,25 auf 3,65 % und der Spitzenrefinanzierungssatz von 4,50 auf 3,90 % gesenkt wurden. Diese Spread-Anpassungen werden diese Woche am Mittwoch (18.9.) wirksam. 

Diese Schritte fallen in eine Phase wirtschaftlicher Unsicherheit im Euroraum und signalisieren eine Anpassung der geldpolitischen Strategie der EZB, die sich zunehmend auf die Balance zwischen Inflationsbekämpfung und der Förderung von nachhaltigem Wirtschaftswachstum konzentriert. Der Rückgang der Zinsen soll Unternehmen und Haushalte entlasten und das Wachstum stimulieren. Allerdings dauert es mehrere Quartale, bis sich eine Zinssenkung auf die Realwirtschaft auswirkt. Die Folge: „Die Finanzierungsbedingungen bleiben restriktiv und die Konjunktur ist nach wie vor gedämpft, worin sich der schwache private Konsum und die schwache Investitionstätigkeit widerspiegeln“, so die EZB.

Konjunkturschwäche und Prognosen für den Euroraum

Die wirtschaftliche Lage im Euroraum bleibt somit angespannt. Die neuesten Konjunkturprognosen der EZB zeigen ein gedämpftes Wachstum, das für 2024 auf 0,8 % geschätzt wird, bevor es 2025 und 2026 auf 1,3 bzw. 1,5 % ansteigen soll. Dieser Ausblick ist eine leichte Abwärtskorrektur im Vergleich zu früheren Projektionen, die auf eine schwache Binnennachfrage in den kommenden Quartalen zurückzuführen ist. Vor allem die schwächelnde deutsche Wirtschaft belastet den Euroraum. Volkswirte wie Friedrich Heinemann vom ZEW-Institut sehen in der Rezessionsgefahr Deutschlands einen Hauptgrund für die Zinssenkung.

Nachlassende Gesamtinflation, aber Risikofaktor Lohninflation

„Wie in den Juni-Projektionen erwarten die Fachleute eine Gesamtinflation von durchschnittlich 2,5 % für 2024, 2,2 % für 2025 und 1,9 % für 2026. Es wird erwartet, dass die Inflation im letzten Abschnitt des laufenden Jahres wieder ansteigen wird. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass vorangegangene starke Rückgänge der Energiepreise aus den Jahresraten herausfallen werden (Redaktion: Basiseffekte). Die Inflation dürfte dann im Laufe der zweiten Hälfte des nächsten Jahres in Richtung unseres Zielwerts zurückgehen“, so der O-Ton der Inflationsbetrachtungen der EZB. 

Die Arbeitslosenquote ist im Euroraum im Juli auf ein historisches Tief von 6,4 % gesunken. Und ein gewisser Lohndruck führte zu einer Beschleunigung der Teuerung bei den Dienstleistungen, die höher als erwartet ausfiel. Deshalb revidierten die Volkswirte der EZB ihre Prognosen für die Kerninflation der Jahre 2024 und 2025 geringfügig nach oben. Zugleich erwarten die Fachleute weiterhin einen raschen Rückgang der Kerninflation von 2,9 % in diesem Jahr auf 2,3 % im Jahr 2025 und 2,0 % im Jahr 2026.

Weitere geldpolitische Maßnahmen und Ausblick

Neben den Zinsanpassungen setzt die EZB auf die Reduzierung der Bestände aus dem Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) und dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP). Das PEPP-Portfolio wird um monatlich 7,5 Milliarden Euro reduziert, und die Wiederanlage der Tilgungsbeträge soll zum Jahresende 2024 vollständig eingestellt werden. Wie es mit den Leitzinsen weitergeht, ließ EZB-Chefin Christine Lagarde offen. Es geht darum, mittelfristig eine Inflationsrate von 2 % zu erreichen und dabei die reibungslose Funktionsfähigkeit der geldpolitischen Transmission aufrechtzuerhalten. Bis zum Erreichen einer Inflationsrate von 2 % wird der EZB-Rat die Leitzinsen „so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten“. Dazu noch ein wesentlicher Punkt im O-Ton: „Die Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus durch den EZB-Rat wird auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen. Seine Zinsbeschlüsse werden vor allem auf seiner Beurteilung der Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation sowie der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren.“ Es ist damit zu rechnen, dass in nächster Zeit vor allem die Devisen- und Bondmärkte volatiler auf Arbeitsmarktdaten, Konjunkturtrends und Inflationsdaten reagieren werden.

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