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Börsen-Kurier-Interview mit CEO Boschan: "Aktien fördern Chancengleichheit"

Marius Perger | Börsen-Kurier

Börsenchef Christoph Boschan über die „Zwei-Klassengesellschaft“ am Kapitalmarkt.

Unsere Gesellschaft hat ein historisch einmaliges Maß an Wohlstand, Gleichberechtigung und Chancengleichheit erreicht, betont Börsechef Christoph Boschan im Gespräch mit dem Börsen-Kurier. Und doch gebe es einen gesellschaftlichen Bereich, in dem eine „Zwei-Klassengesellschaft“ zugelassen sei: den Finanzmarkt.

Während nämlich die Mehrheit in einem Akt der Selbstentmündigung vom Kapitalmarkt nichts wissen wolle, würden die „Wissenden“ über hohe Aktienquoten verfügen. Nur ihnen, die sowieso zu den Wohlhabenden zählen, kämen die Zuwächse an den Börsen zugute. Es sei unverständlich, dass der Staat bei der finanziellen Freiheit und der Vorsorge eine „zutiefst ungleiche Gesellschaft akzeptiert“.

Gesellschaftsordnungen, die die Verantwortung und Freiheit des Individuums betonen, würden auch beim Vermögensaufbau und der Altersvorsorge anders agieren als vor- bzw. fürsorgliche Staaten.

Das habe dazu geführt, dass der angloamerikanische Raum „Generationen erfolgreicher Anleger“ hervorgebracht habe. Es gebe dort eine kollektive soziale Erfahrung, dass es sinnvoll sei, sich mittels Aktien am Wirtschaftswachstum zu beteiligen.

Finanzbildung ist Staatsaufgabe

Schlüssel zur Lösung dieses Problems sei die finanzielle Bildung. Diese liege in der Verantwortung des Staates, ist Boschan überzeugt. Sie müsse von den derzeitigen Anbietern entkoppelt werden und sollte nicht Angelegenheit der Finanzbranche sein: Es gehe um Mündigwerden im Sinne Kants, um einen „aufklärerischen Akt.“

Finanzbildung müsse deshalb staatlich neutralisiert und verpflichtend in Bildungspläne übernommen werden. Dabei könne man sich dem Thema von beiden politischen Seiten nähern und entweder Schutz oder Chancen in den Vordergrund stellen.

Wenig Verständnis zeigt Boschan dafür, dass Österreich am Pisa-Modul „Financial Literacy“ nicht teilnimmt, mit dem die finanzielle Kompetenz von 15-Jährigen abgefragt wird. Es sei schade, dass manche Länder mit entwickelten Kapitalmärkten den Pisa-Test ignorieren, während viele Wachstumsländer und Staaten in CEE daran teilnehmen.

Man müsse vor den Ergebnissen keine Angst haben, ist der Börsechef überzeugt: „Ich glaube, Österreich würde sich relativ hoch einordnen.“ Und er fragt: „Was wäre so schlimm, daran teilzunehmen?“ Immerhin wüsste man anschließend, ob es Handlungsbedarf gebe oder nicht. Man habe die Frage einer Teilnahme Österreichs auch bei der Politik angesprochen, sei aber mit den Argumenten nicht durchgedrungen.

Steuerliche Incentivierung nötig

Apropos Politik. Mit der aktuellen Regierung tut sich die Wiener Börse „definitiv“ viel leichter als mit der vorhergehenden, Boschan spürt eine „positive Zuwendung zum Kapitalmarkt“. Nun müsse man die Kapitalmarktpläne der Regierung abwarten, die diese im April bekanntgeben will.

Um den Kapitalmarkt zu aktivieren bedürfe es jedenfalls einer steuerlichen Incentivierung. Es sei unverständlich, warum ein Privatanleger, der aus versteuertem Einkommen investiert, KESt zahlen müsse. Von der Politik wünscht er sich niedrigere Steuersätze, die Wiedereinführung der Steuerbefreiung von Kursgewinnen nach einer bestimmten Behaltefrist und eine unbegrenzte Verlustgegenrechnung.

Weil entwickelte Kapitalmärkte auch für schnelleres Wachstum stehen und jeder in ein börsenotiertes Unternehmen investierte Euro sich mit dem Faktor 2,5 für die gesamte Volkswirtschaft multipliziere, brauche es „den grundsätzlichen Willen, das Thema anzugehen“, so Boschan abschließend.


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